Der Code of Conduct der Association For Electronic Music
Good Practices gegen Sexismus können als Inspiration dienen und zeigen konkrete Lösungsansätze auf. Um aus den Erfahrungen der Bündnispartner*innen zu lernen, veröffentlichen wir regelmäßig gute Praxisbeispiele aus dem Bündnis “Gemeinsam gegen Sexismus”. Heute: Vorstandsmitglied Martin Rüssmann stellt im Interview den Code of Conduct der Association For Electronic Music (“AFEM”) vor.
Die AFEM ist eine globale Organisation, welche die Interessen der elektronischen Musikbranche vertritt – dazu gehört auch, sich aktiv mit Sexismus und Übergriffigkeit zu beschäftigen und Maßnahmen zu ergreifen, um diesen vorzubeugen und entgegenzuwirken. Ein Code of Conduct (Verhaltenskodex) kann dafür ein wichtiges Mittel darstellen. Mit AFEM-Vorstandsmitglied Martin Rüssmann haben wir über den Code of Conduct der AFEM gesprochen und was dabei zu beachten und besonders zielführend ist.
Bündnis „Gemeinsam gegen Sexismus“: Ein Code of Conduct hält fest, welche Verhaltensweisen erwünscht sind – und welche nicht. Damit wird auch ein gemeinsamer Wertekanon vereinbart. Was ist bei der Erarbeitung besonders zu beachten?
Martin Rüssmann: Wichtig ist, dass von Beginn an unterschiedliche Perspektiven aus der Branche, allen voran die von Betroffenen, in den Dialog und die Erarbeitung eingebunden und gehört werden. Der Association For Electronic Music war dies bei der Erarbeitung ihres „Code of Conduct“ im Jahr 2020 besonders wichtig. Im Rahmen einer Arbeitsgruppe fanden viele Diskussionsrunden statt und Entwürfe bis hin zur finalen Version sind für eine Abstimmung durch sämtliche Hände gegangen. Nur so kann meines Erachtens nach ein Wertekanon entstehen, mit dem sich jede*r identifizieren kann – und der damit auch zur Akzeptanz und Anwendung beiträgt.
Bündnis: Wie weitgreifend kann und sollte der Geltungsbereich eines solchen Code of Conduct sein?
Rüssmann: Bei der Erarbeitung eines Code of Conduct und der Einbeziehung verschiedener Sichtweisen und Erfahrungshintergründe, stellt man schnell fest, dass das Thema komplex ist. Es hängt auch davon ab, in welchem Bereich und in welchem Land ein solcher Verhaltenskodex gelten soll. Je weitgreifender ein Geltungsbereich ist, desto allgemeiner können Regelungen formuliert werden.
Bündnis: Zu Strukturierung und Inhalt eines Codes of Conduct gibt es unterschiedliche Ansätze. Welche Punkte sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig? Gibt es inhaltliche Kategorien, die nicht fehlen dürfen?
Rüssmann: Alles beginnt mit den Definitionen. Was wird unter sexueller Belästigung verstanden? Wann und wo beginnt sie? Des Weiteren muss festgelegt werden, wie präventive Maßnahmen aussehen müssten und was zu tun ist, wenn sexuelle Belästigung tatsächlich stattfindet. Was ein Code of Conduct für diejenigen, die sich dazu bekennen in der Folge bedeuten soll und wie weit sie rechenschaftspflichtig sind. Schließlich erachten wir es als wichtig, dass Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene mit aufgenommen werden.
Bündnis: Welche Herausforderungen können sich in der Erarbeitung und Umsetzung ergeben? Welche Ansätze sind besonders hilfreich, um solche Hürden zu überwinden?
Rüssmann: Eine besondere Herausforderung bei der Umsetzung ist sicherlich die dauerhafte Überwachung bzw. Überprüfung der Anwendung des Code of Conduct im Empfängerkreis. Wurden Maßnahmen ergriffen, die die Vereinbarungen des Code of Conduct widerspiegeln?
Zudem sollte der Dialog mit dem Empfänger- und Betroffenenkreis weitergeführt werden, um den Code of Conduct und weitere Maßnahmen stetig zu verbessern. Dies trägt zur allgemeinen Reflexion von Denk-und Handlungsmustern bei und schafft unternehmenskulturellen Wechsel.
Bündnis: Gibt es Leitfäden oder Quellen, die Sie empfehlen können, um einen Code of Conduct zu erarbeiten?
Rüssmann: Die AFEM stellt ihren Code of Conduct kostenlos auf ihrer Website zur Verfügung und lädt sämtliche Kreativbranchen ein, diesen als Vorbild zu nutzen und zusammen mit dem Verband weiterzuentwickeln.
Bündnis: Was braucht es, um Sexismus in der Musikbranche entgegenzutreten?
Rüssmann: Innerhalb der Musikbranche wird das Thema je nach Musikgenre bisher unterschiedlich adressiert. Im Bereich der elektronischen Musik ist man eventuell schon ein wenig weiter, was sicherlich auch mit den Ursprüngen des Genres zusammenhängt. Die House Music beispielsweise entstand in den USA der 1980er Jahre in den Reihen benachteiligter Gruppen. Ein Bewusstsein für Benachteiligung und Diskriminierung bestand also schon damals.
Es braucht jedoch in sämtlichen Gesellschaftsbereichen mehr Bewusstsein für das Thema. Betroffene müssen über existierende Anlaufstellen informiert werden. Es bedarf eines Kulturwechsels in den Unternehmen: Es sollte selbstverständlich sein, dass nicht-einvernehmliches Verhalten nicht toleriert wird und gerade Männer, die derartiges beobachten, sich für die Betroffenen stark machen. Ich beobachte positive Entwicklungen in dieser Hinsicht z.B. in Clubs und auf Festivals.
Dieses Interview wurde am 29.9.2023 geführt.